Direkt zum Inhalt springen

Diskurs

Mittwoch, 10.07.2024

Wer zahlt für die KI-Revolution?

Sommerloch

"Das Sommerloch zwischen politischer Kontrolle und technologischem Fortschritt." Kommentar von Matthias Hornschuh, Sprecher der Kreativen in der Initiative Urheberrecht. Juli 2024.

Endlich Sommer. Für viele bedeutet das die Hoffnung auf lang ersehnte und dringend benötigte Entspannung. Doch für die, die Angst um ihre berufliche Existenz haben müssen oder diese gar bereits verloren haben, ist diese Entspannung unmöglich, sei es aus materiellen oder aus mentalen Gründen. Viel zu vielen Kolleginnen und Kollegen geht es zur Zeit so.

Wer seine schöpferische Tätigkeit zum Beruf macht, lebt in den meisten Fällen nicht von der Bezahlung der geleisteten Arbeit, sondern von der Vergütung der schöpferischen Erträge dieser Arbeit. Für die Rechteeinräumung und Nutzung geschützter Werke und Leistungen steht Urheber:innen eine angemessene Vergütung zu. Urheber:innen leben von Lizenzvergütungen und Tantiemen, also vom Urheberrecht.

Äußern sie Kritik an bestimmten Praktiken der Werknutzung und -vergütung, werden diese schnell als technologie- oder gleich innovationsfeindlich abgetan. Tatsächlich aber neigen gerade diejenigen Menschen, die nicht nur kreativ sind, sondern schöpferisch tätig, dazu, sich neue Technologien anzueignen und sie ihren Vorstellungen zu unterwerfen, sie für sich nutzbar zu machen. Künstler:innen sind Early Adopters neuer, oft noch nicht weit verbreiteter Technologien. Auch die Umfrageergebnisse der kürzlich vorgestellten Studie „KI und Bildende Kunst“ der IU im Auftrag der Stiftung Kunstfonds bestätigen das.

Der Kreativsektor zählt zu den besonders innovativen Wirtschaftsbranchen überhaupt: notwendigerweise. Das Know-how und die Out-of-the-Box-Skills dieser Expert:innen für Veränderung nicht in politische Transformationsprozesse einzubinden, wenn es etwa um den konstruktiv-lösungsorientierten Umgang mit Unsicherheit, um Innovation und gesellschaftlich-kulturelle Folgeabschätzungen geht, ist ein kurzsichtiges Versäumnis.

Zumal kulturelles Handeln Kräfte freizusetzen vermag – individuell, gesellschaftlich und politisch. Wenn die verschiedenen Akteur:innen des Kreativsektors mit einer gemeinsamen Stimme sprechen, bewegen sie etwas, so wie beim AI Act, der europäischen KI-Grundverordnung, die in den Mitgliedsstaaten der EU kontrovers diskutiert wurde. Als die Bundesregierung in ihrer Haltung zur KI-Regulierung eine klare Haltung vermissen ließ, meldeten sich die Vertreter:innen der gesamten Kultur-, Kreativ- und Medienbranche gemeinsam und geschlossen zu Wort und betonten nachdrücklich und im Sinne zehntausender Unternehmen und Millionen Angestellter undSoloselbständiger, die gemeinsam die aktuell zweitgrößte Teilbranche der deutschen Volkswirtschaft bilden, die Notwendigkeit, der neuen Technologie eine Verkehrsordnung zu geben. Sie wurden gehört: der AI Act, explizit kein urheberrechtliches Gesetz, wurde um eine Transparenz- und eine Kennzeichnungspflicht ergänzt.

Ein Problem bleibt ungelöst.

Die Transparenzverpflichtung für KI-Anbieter soll erfolgte Nutzungen nachvollziehbar machen und prinzipiell Lizenzierung ermöglichen. Doch bislang ist rechtlich unklar, ob die in der europäischen Urheberrechtsrichtlinie von 2019 enthaltene Schrankenregel zum Text- and Data-Mining (TDM), die erst im Sommer 2021 in nationales Recht umgesetzt wurde, die Erlaubnis zum Scraping und Training für generative KI-Systeme überhaupt umfasst.

Nach aktuellem Stand sind mindestens die umfangreichen Nutzungen quasi sämtlichen digital verfügbaren Repertoires im Zeitraum vor TDM rechtswidrig erfolgt, was übrigens so gut wie alle Rechteinhaber so sehen, von den Einzelkünstler:innen bis zu den Konzernen, von den Kollektiven bis zu ihren mittelständischen Partnern. Es steht die Frage im Raum, ob es Gerichte sein werden oder die Gesetzgeberin, die dieser Unsicherheit ein Ende bereiten.

Die TDM-Schranke gesteht den Rechteinhabern die Möglichkeit zu, aktiv einen Vorbehalt gegen das Mining zu erklären. Dieser hat maschinenlesbar zu sein. Doch fünf Jahre nach Veröffentlichung der Richtlinie weiß immer noch niemand, was genau unter „Maschinenlesbarkeit“ zu verstehen ist und wer sich unter welchen Bedingungen daran zu halten hat. Zu befürchten ist eine grundsätzliche Wirkungslosigkeit dieser existenzsichernden Regelung.Im Sommer 2024 häufen sich international die Belege dafür, dass in massivem Umfang gegen zweifellos maschinenlesbar erklärte Vorbehalte verstoßen wird. Ganz offensichtlich bedarf es somit weiterer Regulierung, ggf. auch im Urheberrecht, mindestens in Form von Klarstellungen und/oder Korrekturen. Einen Weg dahin könnte das soeben gegründete europäische AI Office weisen, das die Guidelines,Templates, Code of Conducts etc. für die Praxisimplementierung des AI Act zu erarbeiten hat. Dabei ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings zu konstatieren, dass die Urheber:innen, ausübenden Künstler:innen und Rechteinhaber nicht immer ausreichend vertreten sind bzw. zu Wort kommen – hier muss unverzüglich gehandelt werden.

Die existenziellen Probleme der Urheber:innen und ausübenden Künstler:innen und ihrer Partner im Bereich von Kultur, Medien und Kreativwirtschaft bleiben einstweilen ungelöst. Der AI Act kann also nur ein Anfang gewesen sein.

Wer zahlt für die KI-Revolution?

Die Initiative Urheberrecht fordert den sofortigen Einstieg in eine breite Diskussion über den hohen gesellschaftlichen und kulturellen Preis der so genannten KI-Revolution. Die Kosten werden viele Menschen betreffen, die davon noch nichts ahnen und die nicht einbezogen werden. Vor allen anderen aber werden sie den schöpferisch Tätigen und ihren Partnern aufgebürdet. Einmal mehr werden die Risiken vergemeinschaftet, während die wirtschaftlichen Erträge privatisiert werden - und fast ausnahmelos ins außereuropäische Ausland abfließen. Nicht einmal Steuergewinne vermögen also die unverhältnismäßige Schlechterstellung der Kreativen zu rechtfertigen.

Die Diskussion muss in eine entschiedene und weitsichtige Regulierung münden, die die Fehler einer überwiegend verfehlten granularen Digitalpolitik der letzten Jahrzehnte nicht wiederholen darf. Dafür bedarf es auf nationaler wie europäischer Ebene konvergenter Instrumente für konvergente Entwicklungen, die in ihren Effekten längst nicht mehr aufs Digitale begrenzt sind. Deutschland und die EU brauchen dringend eine holistische ordnungspolitische Perspektive und einen klaren Blick auf Marktordnung, Marktfunktion und Marktversagen. Medien- und Datenschutz, Wettbewerbsrecht und Marktregulierung, Jugendmedienschutz und der Schutz der Menschenwürde, Verbraucher- und Bürgerrechte, informationelle Selbstbestimmung und schließlich Urheberrecht müssen gemeinsam gedacht und reguliert werden. Sonst droht die Lücke zwischen technologischem Fortschritt und politischer Kontrolle unbeherrschbar groß zu werden.

Pressekontakt: info@urheber.info