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Diskurs

Dienstag, 28.11.2023

Bericht von Nina George

Die richtige Konferenz zum richtigen Zeitpunkt

Auf der 11. Internationalen Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht am 27.11.2023 in Berlin erfolgte ein eindringlicher Appell an die Bundesregierung zum AI Act: Demokratie brauche Glaubwürdigkeit, Transparenz und die Verteidigung des Individuums.

Seit der vor drei Wochen bekannt gewordenen neuen Haltung der Bundesregierung, zusammen mit Frankreich und Italien, sich gegen eine Transparenzpflicht zu wenden, was in einem sog. non-paper bekannt wurde, ist die Kreativbranche in Aufruhr. KI-Unternehmen sollen nach dem aktuell kursierenden non-paper der drei Regierungen nicht gesetzlich verpflichtet werden, Auskunft über den Inhalt ihrer Foundation Models und damit über Details benutzter Werke geben zu müssen; auch Sanktionen gegen die Verletzung bestehender Urheberrechts-, Persönlichkeitsrechts- oder Datenschutzrechte im Zuge von Scraping und Training seien nicht vorgesehen. Stattdessen sollen nur die Anwendungen reguliert werden.

In einer auf der Konferenz vorgestellten Verbändestellungnahme der Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft wenden sich die 140.000 von der Initiative Urheberrecht vertretenen Urheber, Künstler und Ausübenden gemeinsam mit Verlagen, Handel, Produzenten, Verwertungsgesellschaften und Verwertern an die Bundesregierung mit einem eindringlichen Aufruf und fordern klare und verbindliche Gesetze zur Regulierung von KI-Unternehmen. Entsprechende Befürchtungen und Forderungen äußerten auch die 28 Vortragenden der Konferenz.

Transparenz ist King – sind Tech-Monopole King-Kong?

Generative Informatik und ihre für die Entwickler hochprofitablen Anwendungen wie ChatGPT, Midjourney oder VoiceAi existiert nur, weil sie von den Leistungen und Werken der Urheber gelernt hat, und das seit langer Zeit rechtlich ungedeckt, ohne Zustimmung, Vergütung oder Dokumentation der genutzten Werke. „Wir gehen von mindestens zwei Millionen Buchtiteln aus, für die ein Mensch 20.000 Jahre brauchen würde, sie zu lesen, und einer Anzahl von Bildern, für die visuelle Urheber 150 Jahre benötigten, sie zu erarbeiten“, rechnet die Schriftstellerin und Ehrenpräsidenten des European Writers‘ Council, Nina George hoch. „Doch der Maschinengott wird zurzeit ehrfürchtiger betrachtet als der irdische Urheber.“ - „Wie kann es sein, dass wir als Gesellschaft entschieden haben, den fünf monopolistischen Verteilern von Inhalten mehr Wert beizumessen, als den Inhalten selbst?“ schließt sich Sachbuchautor Dr. Martin Andrée („Tech muss weg“, Campus Verlag) an. „Das freie Internet wurde bereits abgeschafft. Wacht auf! Es ist der selbe Mechanismus, der uns alle schädigt. Es betrifft alle Felder in unserer Gesellschaft, es geht alle an. Nicht nur Künstler, sondern alle werden betrogen!“

„Transparency is King“, betont der führende dänische Urheberrechtsexperte Peter Schønning. Und natürlich: Vergütung und einvernehmliche Lizenzen. Gleichzeitig müsse aber die Frage gestellt werden, so Schønning, ob es überhaupt wünschenswert sei, ausgerechnet jene Maschinen zu füttern, die dafür gedacht sind, menschliche Künstlerinnen und Urheber zu ersetzen. Die Antwort ist für den Filmemacher und Effektgestalter Till Novak (u.a. für Marvel) kristallklar: „Man will sich doch nicht den Ast absägen, auf dem man sitzt. Und auch nicht die Kontrolle verlieren über das, was den Menschen ausmacht. Maschinen können keinen Kontext.“

„Wir brauchen Mut und Weitsicht“, ergänzte Urban Pappi, Geschäftsführer Vorstand der VG Bild-Kunst. „Generative KI ist angewiesen auf menschliche Kreativität. Dafür müssen wir aber auch Verantwortlichkeiten allokieren, um uns in einer Demokratie nicht Maschinen auszuliefern.“

„Und das schnell“, drängt die Justiziarin des Deutschen Journalistenverbands (DJV) Hannah Möllers. „Uns läuft die Zeit davon, und derweil findet an anderer Stelle massive Wertschöpfung statt.“ Für die Juristin und Journalistin ist klar: „In einer Demokratie und einer funktionierenden Medienlandschaft brauchen wir kritische, selberdenkende Stimmen, die Verantwortung für ihre Inhalte übernehmen. Das geht verloren durch reproduzierende Textrobotik.“

„Herr Bundeskanzler: Bitte lassen Sie uns nicht im Regen stehen“

Kontrollverlust findet jedoch schon weiträumig statt: Schauspielerin Leslie Malton, Vorsitzende des Bundesverband Schauspiel (BFFS), legte mit BFFS-Vorstandskollege und Urheber­rechtsanwalt Dr. Till Völger mit bestürzenden Beispielen dar, wie Schauspieler und professionelle Sprecher durch das synthetische Klonen ihrer Gesichter, Bewegungen und Stimmen durch generative KI ersetzt werden, mitunter ohne, dass sie davon wissen. „Es existieren Datenbanken mit den Leistungen von Schauspielerinnen und Schauspielern, die von KI-Unternehmen angekauft werden, jedoch ohne Vergütung und Erlaubnis der Ausübenden.“ Für Games, für Werbung, für Hörbücher – und wer sich wehre, riskiere, beim nächsten Mal eben nicht engagiert zu werden. „Als Einzelne können wir wenig erreichen“, erklärt Malton, und appelliert an die Gesetzgeberin: „Lassen Sie uns nicht im Regen stehen.“

Denn es geht um mehr als „nur“ Urheber oder Künstlerinnen: „Wenn ein Bild generativ reproduziert wird, trifft das auch die, die für eine echte Produktion beschäftigt wären: Visagisten, Kulissenbauer, Assistenten“, so Dorothee Lanc, Justiziarin des Berufsverbandes Freie Fotografen und Filmgestalter (BFF). „Wenn diese Konsequenzen nicht klar sind, muss man sich schon fragen: Ist die Bundesregierung so ahnungslos, oder tut sie nur so?“

Fotograf Konrad J. Schmidt ergänzt: „Daneben darf man nicht vergessen, dass KI ein Klimakiller ist, was den Wasser- und Stromverbrauch für Server und Rechenleistung angeht“. Der Energieverbrauch von KI wird bis 2025 höher sein als der aller menschlichen Arbeitskräfte; bis 2030 wird das Training und die Datenspeicherung für maschinelles Lernen 3,5 % des weltweiten Stromverbrauchs ausmachen. Schmidt erinnert auch die anwesenden Politikerinnen und Abgeordnete, dass auch Bilder von ihnen Grundlage für Fakenews und Reproduktion sind: „Das Verhältnis von Scheiße zu Wahrheit hat sich verzwölffacht. Auch Sie werden benutzt. Sie müssen auf Ihre Glaubwürdigkeit achten.“ Für Schmidt liegt ein möglicher Weg in implementierten Bilder-Codes, die die Herkunft eines echten Bildes nachweisen.

Das würde auch vermeiden, was Hausherrin der AdK, Präsidentin Janine Meerapfel, in unregulierter KI vorausahnt: „Künstliche Bilder werden zu Waffen.“

Vielstimmiges Echo aus Bundestag, Ministerien, Europa-Parlament und Europäischer Kommission

Glaubwürdigkeit, Transparenz, Vergütung, Würde und Verantwortung: Das bewegt auch die vier geladenen Abgeordneten des Deutschen Bundestags Awet Tesfaiesus (Bündnis 90/Die Grünen), Macit Karaahmetoğlu (SPD), Dr. Christiane Schenderlein (CDU) und Dr. Thorsten Lieb (FDP), die sich Zeit nehmen, aus der Perspektive der Künstlerinnen und Urheber zu erfahren und über die Tendenzen aus den Parteien zu berichten. „Es geht um Vergütung der Urheber, um Transparenz, es geht aber auch um die Würde, und den Schutz der Persönlichkeitsrechte“, mahnt Macit Karaahmetoğlu. Für den Juristen stelle generative KI keine „Inspiration“ dar, sondern ein Geschäftsmodell, dass Künstlern tief in die Taschen greife. Für Awet Tesfaiesus ist die Glaubwürdigkeit von Bildern ein Thema, seit jüngst gefakte KI-Bilder vom Grünen-Parteitag kursierten. Entsprechend müsste KI-Output klar gekennzeichnet werden, fordert sie, um das Vertrauen in Bilder und Nachrichten zu erhalten.

Dr. Christiane Schenderlein zog eine klare Grenze zwischen menschlichen Kapazitäten und maschinellem Vereinfachen; und forderte eine klare Regulierung, „die Urhebern nützt und sie schützt, dazu gehören Transparenz über Herkunft der Daten als auch Kennzeichnung, um auch Verantwortung zuzuweisen oder Propaganda zu detektieren.“ Für Dr. Christiane Schenderlein ist die vergütungsfreie Ausnahme für Text und Data Mining (§44b UrhG) keine Grundlage für Maschinelles Lernen - dies wird von Thorsten Lieb (FDP) unterstützt, der in maschinellem Training sogar eine grundsätzlich neue Nutzung sieht, die durch keinerlei Ausnahmen im Gesetz abgedeckt sei. „Wir müssen Auskunftsrechte durchsetzbar machen“, so Lieb - ein klarer Ruf nach Transparenz und Regulierung von allen Parteien. Doch wird er gehört?

Axel Voss, Mitglied des Europa-Parlaments und Rapporteur des derzeitig verhandelten AI Acts, sieht ebenfalls urheberrechtliche Grundlagen betroffen. Für Voss ist ein Mindestmaß an Transparenz über die verwendeten Werke einer generativen KI wesentlich, gleichzeitig sieht er Klärungsbedarf bei der sog. „Schranke“ zu Text und Data Mining (TDM), im deutschen Recht als §44b im UrhG bekannt, im europäischen Recht als Artikel 4 der Urheberrechts-Richtlinie 2019/790 (EU). „KI wurde im Zuge der Urheberrechtrichtlinie und Artikel 4 nie diskutiert“, stellt Voss fest. Entsprechend sei es zweifelhaft, dass sich Unternehmen auf den Artikel berufen könnten, um maschinelles Lernen damit abzudecken. Das sieht die Europäische Kommission derweil anders, wie Tamas Szigeti (Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien, Europäische Kommission) darlegt: mit Artikel 4 seien den Rechteinhabern die Chance für einen Opt-Out, also ein Rechtevorbehalt gegeben, um sich gegen illegitimes „scrapen“, also das Abgrasen von Werken, zu wehren.

„Wenn opt-out denn funktionieren würde“, stellt die MdB Tesfaiesus nüchtern dazu fest.

Dr. Frank Castenholz (BKM, Referat 11) und Dr. Christian Meyer-Seitz (BMJ) bemühten sich derweil um Vermittlung und Rückhalt: Laut dem BMJ müsse Text und Data Mining neu betrachtet werden, während bei Transparenzpflichten auf Umsetzbarkeit und Zumutbarkeit geachtet werden müsse. Für das BKM wiederum bleibt wesentlich, dass Transparenz der Trainingsdaten entscheidend sei, um die Kulturschaffenden zu schützen, und auch um über die Verteilung der Einnahmen diskutieren zu können. „Schließlich profitieren wir alle von dem Einsatz der Kultur für die demokratische Vielfalt.“

Mögliche und unmögliche Zukunftsvisionen

Rund 3,3 Millionen US-Dollar setzt allein nur der Marktführer Open Ai mit ChatGPT um - jeden Tag. Für Urban Pappi ist es vorstellbar, Abgaben auf KI-Erzeugnisse von den Betreibern einzuholen, eine Art „Geräteabgabe“ auf KI-Output. Reinher Karl, Justiziar des Verbands unabhängiger Musikunter­nehmer:innen (VUT) sieht die dringende Nachschärfung des Urheberrechts im Mittelpunkt, „sonst haben wir nach der Phase der unregulierten KI keine Chance mehr, US-Monopole und den neuen Gott Algorithmus in den Griff zu bekommen.“ Dazu könnte nach Meinung Peter Schønning gehören, das Urheberrecht selbst zu erweitern, etwa das Recht auf den eigenen Stil oder gar auf Ideen. Dr. Tobias Holzmüller, CEO der GEMA, möchte darüber hinaus Transparenz über die Empfehlungs-Algorithmen: „Erst die Chancengleichheit auch für neue Künstler oder Nischenmusik kann die Vielfalt erhalten.“ Deswegen: „Wer in Europa generative KI anbietet, der soll sich erklären müssen, wie seine Hintergrundberechnungen für Sichtbarkeit oder Empfehlungen zustande kommen.“

Aus dem Publikum heraus plädierte die ehemalige MEP Helga Trüpel: „Wir müssen das Individuum verteidigen. Es wird Zeit, mit politischer Kommunikation und Haltung das Narrativ der 'Lords of the Clouds' aufzubrechen. Denn es geht um nichts weniger als die Würde des Menschen.“

Die Aufzeichnung der 11. Internationalen Urheberrechtskonferenz können Sie hier anschauen: https://urheber.info/konferenz-2023#stream

11. Internationale Urheberrechtskonferenz: Bericht von Nina George (pdf, 158.45 KB)

Pressekontakt: info@urheber.info