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Diskurs

Freitag, 10.01.2025

Forderung nach Regierungshandeln in Bezug auf Digitalisierung und Medien

Zuckerbergs Kniefall und seine Bedeu­tung

Eine erste Einschätzung zu den Entwicklungen der amerikanischen Big Tech Unternehmen, Auswirkungen auf Europa und Forderung an die Bundesregierung zum Handeln im Sinne Europas.

Der Besitzer von Truth Social wird US-Präsident, der Besitzer und persönliche Chef von Xitter Mitglied seiner Regierung, der designierte US-Vizepräsident droht Europa mit einem Handelskrieg, sollten die Versuche der BigTech-Regulierung anhalten, der Käufer der Washington Post greift wiederholt in die Redaktionsfreiheit ein, und schließlich fällt der Chef von Facebook, Instagram, Threads und WhatsApp vor der neuen Regierung auf die Knie und unterwirft sich. Meta werde, so Zuckerberg, in den USA vollständig auf Faktenchecks verzichten und zudem (nach dem Unternehmenssitz) die Moderation der Konzern-Plattformen aus dem liberalen Kalifornien ins konservativ-republikanische Texas verlegen. So werde man sich der um sich greifenden "Zensur" durch "governments and legacy media" speziell in der EU entgegenstellen.

Wer - warum auch immer - daran gezweifelt hätte, dass die Machtakkumulation der Tech-Konzerne problematisch ist, wird sich ungläubig die Augen reiben. Und nicht wenige murmeln vor sich hin "Hate to say I told you so...".

Aus europäischer Perspektive mutet es an wie der schiere Wahnwitz, was sich in diesen Tagen in den USA entfaltet. Jede Anstandsgrenze wird weggewischt, jede Abstandsgrenze zwischen Kapital und Politik ist längst gefallen. Was das für unsere öffentlichen Räume, und damit für Gesellschaften und Demokratien in Europa bedeuten wird, ist noch kaum abzusehen. Der Bedeutung der Entwicklungen entsprechend überschlagen sich die Analysen, Einschätzungen und Bewertungen, und das keineswegs nur in Europa. Der Medienwissenschaftler Martin Andree konstatiert beim DLF: "Es scheint, als ob gegen Trump/Musk fast kein Widerstand mehr möglich sei." [1]

Es scheint, als sei ein orientierender Blick auf das Geschehen nötig

 

Der Medien- und Urheberrechtler Christian-Henner Hentsch analysiert für die Legal Tribune Online die Äußerungen Zuckerbergs und ordnet sie in die amerikanischen und europäischen Rechtsrahmen ein, wobei zunächst die grundverschiedenen Verständnisse von Rede- und Meinungsfreiheit unterschieden werden.

"Das First Amendment in der Verfassung der USA garantiert die Meinungsfreiheit weitgehend uneingeschränkt und auch Hassrede ist nach ständiger Rechtsprechung davon gedeckt. Europäische Grundrechte hingegen wägen zwischen den Grundrechten des Äußernden und des Betroffenen ab. Daraus ergeben sich auch Drittwirkungen für Plattformen." [2]

Wesentliches Instrument der europäischen Regulierung ist der im Februar 2024 in Kraft getretene "Digital Services Act" (DSA), der den nach Art und Größe kategorisierten Plattformen Verfahren zur Bekämpfung von Hass und Desinformation europaweit einheitlich vorschreibt. Während den Plattformen damit bestimmte Lasten aufgebürdet werden, "gilt weiterhin das sogenannte Providerprivileg, wonach Plattformen wegen rechtswidriger Inhalte nicht haften, bis sie Kenntnis davon erlangen." [3] Den Plattformbetreibern wird also, darauf weist Martin Andree nachdrücklich hin, weiterhin nicht die inhaltliche Verantwortung für die Inhalte zugewiesen, durch deren Monetarisierung sie sich finanzieren. [4]

Vielmehr können sich die Plattformen in Europa innerhalb eines Ermessensspielraums bewegen. Sie stehen, so Hentsch, "vor dem Dilemma, zu viel zu blocken und damit die freie Meinungsäußerung zu verkürzen oder zu wenig und damit zu haften." [5]

Das Handling des Dilemmas findet im Wesentlichen mithilfe zweier Instrumente statt: AGB, also Hausrecht, und die Einbindung externer Faktenchecker. Gerade bezüglich des Letzteren müssten sich Zuckerberg und sein Team überlegen, "ob sie wirklich auf dieses eher hilfreiche Instrument verzichten und dafür echte - möglicherweise bußgeldbewehrte – Verantwortung übernehmen wollen." [6]

In seiner Bewertung kommt Hentsch zu dem Schluss, erhebliche Teile der europäischen Reaktionen seien letztlich

"wohlfeil. Sie sind vielmehr ein Ausdruck des Unverständnisses für die traditionell anders konzeptionierte US-Medienordnung und gleichzeitig Selbstvergewisserung für unseren europäischen Way of Life." [7]

Solange wir über Zensurvorwürfe und gegenläufige und nicht per se illegitime Vorstellungen von Meinungs- und Redefreiheit sprechen, mag das stimmen. Wer sich für die inflationäre und überwiegend gänzlich unsinnige Verwendung des Begriffs "Zensur" interessiert, dem sei das bereits zitierte Interview mit Martin Andree ans Herz gelegt.

 

Doch es gibt gute Gründe anzunehmen, dass der bedeutendere Teil der gegenwärtigen Aufregung gar nicht auf die eher diskursiven Momente reagiert, sondern vielmehr auf die für viele Beobachter geradezu obszöne Machtanballung, gänzlich jenseits in den USA weitgehend ausgehebelter staatlich-institutioneller Checks-and-Balances, und auf die vollkommen schamlose Zurschaustellung kommerzieller Eigeninteressen der Akteure (in diesem Fall tatsächlich nur Männer).

Noch einmal:

• Donald Trump, der zukünftige US-Präsident ist Milliardär, Besitzer einer Social Media-Plattform und stellte sich zuletzt schützend vor die Plattform TikTok, weil deren Strukturen ihm im Wahlkampf zugute kamen (seine Argumentation, nicht meine);

• sein zukünftiger Behördenleiter Elon Musik, aktuell reichster Mensch der Welt, hat sich Twitter gekauft, um es nach seinen Vorstellungen umzubauen. Das tut er nun nach Kräften, u.a. indem er seine eigenen Äußerungen auf der Plattform algorithmisch priorisieren lässt - allein das wirft einen Haufen Fragen auf, darunter einige rechtliche;     

• sein Milliardärskollege Jeff Bezos kauft sich mit der Washington Post eine der renommiertesten Zeitungen der USA und mischt sich immer mehr und immer sichtbarer in deren redaktionelle Freiheit und journalistische Arbeit ein, wiederholt bei Texten oder Karikaturen, die sich kritisch zur Macht von Milliardären positionieren;

• Marc Zuckerberg, dessen Konzern Meta noch vor vier Jahren, nach dem Sturm aufs Kapitol, Donald Trump und anderen das Schreibrecht entzog und dem Trump daraufhin Gefängnis androhte, vollzieht einen Kotau vor der Macht in der Hauptstadt ... und dreht sein ganzes Unternehmen auf Links. Auch er übrigens einer der reichsten Männer der Welt - und Spender min. 1 Mio. USD für Trumps Inaugurationsfeier.

 

Es geht hier längst um viel mehr als die verschiedenen Verständnisse von freier Rede. Auch in Zukunft wird man in Amerika kaum nackte Brüste und erigierte Penisse auf Facebook zeigen und sehen dürfen (soweit geht die Vorstellung totaler Freiheit dort dann noch nicht), dafür darf man aber eben ungestraft Minderheiten verleumden, Hassrede ausleben, Lügen und "alternative Fakten" nach Gutdünken verbreiten. "Flood the zone with shit!". [8] Den Holocaust darf man in den USA übrigens heute schon leugnen — auch auf Social (?) Media.

Dass weitestgehend unregulierte soziale Medien nicht zu abstrakten, sondern zu sehr konkreten Konsequenzen führen können, haben nicht zuletzt die Pogrome gegen die Rohingya in Myanmar gezeigt; dass in Rumänien eine Wahl nicht zuletzt wegen übermäßiger Einflussnahme aus dem Ausland via Social Media annulliert wurde, ist erst wenige Wochen her.

 

Insofern erstaunt es nicht, dass es eine Reihe ausgesprochen unbequemer Analysen und Bewertungen gibt. Wie bereits beim Thema KI gibt es auch hier große Einigkeit zwischen vermeintlich disparaten Lagern wie etwa Netzpolitik und Urheberrecht.

Immer wieder ist von Kniefall oder Einknicken die Rede; die überwiegende Mehrheit der Kommentare ordnet Zuckerbergs Ankündigungen als Unterwerfungsgeste gegenüber einer künftigen Trump-Regierung ein. Diese Regierung wird, nach heutigem Stand, eine sein, in der Coronaleugner, Klimaskeptiker und nicht zuletzt ein irrlichternder Elon Musk höchste Ämter einnehmen.

Musk kann sich Xitter als agitatorische Spielwiese leisten; sein Geld kommt aus anderen Quellen. Für Zuckerbergs Meta aber ist das Social Media-Geschäft das Kerngeschäft. Er hat also viel zu verlieren, vor allem in den USA.

Der Medienjournalist Gavin Karlmeier rettet sich nach einer Analyse der Äußerungen Zuckerbergs in bittere Ironie:

"All dies, so erklärt es Zuckerberg, solle in enger Zusammenarbeit mit Donald Trump passieren. Wie man das also so macht, wenn man sein Unternehmen vor dem Einfluss der Zensur von Regierungen schützen möchte."[9]

 

"Der Feudalimus ist zurück" titelt DIE ZEIT über Elon Musks Verhalten und dessen Begründung: "Sein Reichtum wird zur Rechtfertigung, sich wie ein Fürst aufzuspielen." [10] Felix Kartte wird in der FAZ konkreter:

„Musk lässt System erkennen. Mit seiner Nähe zur AfD, Trump und Rechtsextremisten verkörpert er die Verschmelzung von technologischer mit autoritärer politischer Macht. Der griechische Ökonom Yanis Varoufakis spricht von „Technofeudalismus": einer Ordnung, in der Kapitalismus einer neuen Form digitaler Feudalherrschaft weicht.“ [11]

Nun ist die Idee eines grundsätzlich angelegten und erstarkenden digitalen Feudalismus nicht neu. Ich habe darüber 2017 geschrieben, Martin Andree hat dem Thema seine Keynote auf der Urheberrechtskonferenz 24 gewidmet, Thomas Höppner weist unermüdlich auf die hoch problematischen Implikationen unregulierter Marktkonzentration für  Meinungs- und Informationsvielfalt und damit Demokratie hin. Wir alle werden sehr gerne eingeladen, um darzulegen, wie entsetzlich alles längst ist und wie erschütternd es noch werden könnte.

Doch nachdem man sich im dystopischen Grusel gesuhlt hat, gibt es Häppchen und Schaumwein, und man wendet sich den nüchternen Realitäten der Marktwirtschaft zu: Es braucht halt Wachstum, und für Wachstum brauchen wir Innovation, und wer bietet die: Technologie- und Digitalkonzerne, und die kommen halt aus den USA. Und wer wollte sich nun dem Fortschritt entgegenstellen; da muss man doch mal ein bisschen positiver denken und argumentieren, sonst werden wir abgehängt!

 

Der WDR-Digitalexperte Dennis Horn ist vollkommen entnervt:

"Das Zeitfenster, die Plattformen ordentlich zu regulieren, hat sich geschlossen. Der Schulterschluss von Mark Zuckerberg mit Donald Trump bedeutet, dass jeder weitere Versuch eine Antwort der USA im Wirtschaftskrieg und im Kulturkampf mit Europa nach sich ziehen wird. Die Politik in Europa - allen voran Deutschlands Regierungsparteien - haben 20 Jahre lang mit absoluter Fahrlässigkeit die Relevanz des digitalen Raums und sozialer Medien ignoriert und in Abrede gestellt. Jetzt ist es zu spät. [...] Die letzten wirksamen Brandmauern bestanden in der Distanz zwischen Staat und Unternehmen. Mark Zuckerberg hat sie jetzt eingerissen. [... Die deutsche Politik] versteht offenbar wirklich nicht, welch unselige Allianz da gerade auf uns zurollt. Wenn sie es verstanden haben wird, ist es wahrscheinlich wieder zu spät." [12]

 

Ich würde noch weiter gehen: Es fehlt eine digitalpolitische Zielvorstellung, die längst anerkannt haben müsste, dass das Digitale organischer, untrennbarer Teil der Welt ist, und nicht ein operabler Wurmfortsatz. Es fehlt ein Regierungshandeln, dass zentrale Querschnittsthemen wie Digitalisierung und Medien aus ihren kleinen Ressortkästchen holt und zur Chefsache macht. Auf konvergente Töpfe gehören konvergente Deckel.

Es ist an der Zeit, dass Europa sich aus der Duldungsstarre löst und eigene Wege einschlägt. Im Zweifelsfall halt ohne Insta & Facebook. Unsere Unterwerfungsneigung hilft nicht uns, sondern den US-Plattform- und KI-Betreibern, der US-Wirtschaft und ganz besonders den Broligarchen. Martin Andree hat da ein pragmatisches und wohlbegründetes Rezept formuliert: Big Tech muss weg! [13] Schließlich wird Europa erkennen müssen, dass die Entwicklung einer eigenen Infrastruktur längst überfällig und von existenzieller Bedeutung ist, weil technologischer Fortschritt aus anderen Rechts- und Wirtschaftsräumen Abhängigkeiten schafft, die den Fortschritt in Europa auf vielen Ebenen hemmen. Hemmnis für die Entwicklung einer solchen Infrastruktur ist nicht etwa das Übermaß an Vorschriften (die Unterwerfung unter die Trump-Regierung kommt einer Regulierung gleich), sondern der Mangel an Kapital. Letzteres ist eine unübersehbare Erkenntnis aus dem Ringen um die Regeln für Künstliche Intelligenz: Der Fortschritt ist nicht technologisch begründet, sondern durch Brute Force, also den quasi unbegrenzten Zufluss von Kapital, Ressourcen (Server, Rechenleistung, Strom, Wasser) und Trainingsdaten. Was wiederum die Frage aufwirft, wie es eigentlich zu rechtfertigen sein soll, US-amerikanischen und asiatischen Konzernen die vielfach einzige Existenzgrundlage sämtlicher europäischer schöpferisch Tätiger zu schenken.

Diese Konzerne, das offenbart die aktuelle Situation in aller Schärfe, schenken uns nichts zurück.

 

Quellen:

[1] https://www.deutschlandfunk.de/nach-x-nun-meta-wirklich-cool-musk-interv-m-martin-andree-medienexp-dlf-027fabaf-100.html

[2] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ankuendigung-mark-zuckerberg-abschaffung-faktenchecks-facebook-instagram-rechtslage-europa-dsa

[3] ebd.

[4] https://www.deutschlandfunk.de/nach-x-nun-meta-wirklich-cool-musk-interv-m-martin-andree-medienexp-dlf-027fabaf-100.html

[5] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ankuendigung-mark-zuckerberg-abschaffung-faktenchecks-facebook-instagram-rechtslage-europa-dsa

[6] ebd.

[7] ebd.

[8] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bilder-und-zeiten/wahl-donald-trumps-angriffe-auf-unser-wahrheitsverstaendnis-110197489.html

[9] https://gavinkarlmeier.medium.com/zuckerberg-schiebt-facebook-und-instagram-näher-zu-trump-5889207ad85a

[10] https://www.zeit.de/kultur/2024-12/elon-musk-afd-wahlwerbung-techno-feudalismus

[11] https://www.linkedin.com/posts/felix-kartte-b66054bb_ein-einem-gastbeitrag-f%C3%BCr-die-frankfurter-activity-7283131156126924800-sDt7?utm_source=share&utm_medium=member_ios

[12] https://www.linkedin.com/posts/dennis-horn_es-war-klar-dass-2025-f%C3%BCr-die-social-media-welt-activity-7282499215757344768-CI36?utm_source=share&utm_medium=member_ios

[13] https://bigtechmussweg.de/

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