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Diskurs

Mittwoch, 17.09.2014

Juristentag 2014: Position der Urheber vertreten

In der Diskussion um das Urheberrecht auf dem Juristentag fand der Beitrag von Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht, ein lebhaftes Echo. Urheberrecht ist ein Schwerpunktthema des 70. Deutschen Juristentags (siehe

In der Diskussion um das Urheberrecht auf dem Juristentag fand der Beitrag von Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht, ein lebhaftes Echo.
Urheberrecht ist ein Schwerpunktthema des 70. Deutschen Juristentags (siehe News vom 18. September 2014). Kurzfristig wurde Prof. Dr. Gerhard Pfennig gebeten, vor der Abteilung Urheberrecht die Position der Urheber darzustellen. Der nachstehende Beitrag wurde – aus zeitlichen Gründen in verkürzter Fassung – auf dem Juristentag vorgetragen.

Gerhard Pfennig, Initiative Urheberrecht:
Diskussionsbeitrag auf dem 70. Juristentag
über die Thesen der Abteilung Urheberrecht

Im Zentrum des Urheberrechtsgesetzes aber auch in der Wirklichkeit der Informationsgesellschaft steht nach wie vor der kreative, schöpferisch tätige Urheber und ausübende Künstler – dessen Schöpfungsbeitrag – vor der Leistung des unmittelbaren Werkvermittlers und der Intermediäre der Internetgesellschaft die Voraussetzung für die Entstehung von urheberrechtlich geschütztem Content ist.
Das ist mittlerweile nicht nur eine konstante Größe der deutschen Politik, sondern auch der EU, wie der neue Kommissionspräsident Juncker bei seiner Vorstellung der designierten Kommissare vor kurzem deutlich gemacht hat.
Diese Positionierung kann nicht durch Kosten-Nutzen-Analysen und auch nicht durch den Hinweis auf technische Entwicklungen in Frage gestellt werden.
Neu ist allerdings, dass die Werke unter Nutzung digitaler Technik nicht mehr allein mit Hilfe der traditionellen Erstverwerter – Produzenten, Verleger, Sender – an die Endnutzer gelangen, sondern dass diese vermehrt direkten Zugang zu Werken haben und darüber hinaus über technische Möglichkeiten verfügen, die zur Aneignung fremder Werke, aber auch zu eigener Werkschöpfung auf der Grundlage der Nutzung fremder Werke einladen.
Diese neue Situation erfordert jedoch keine Erweiterung des § 11 UrhG und damit zu einer Gleichstellung der Nutzer mit den Urhebern, wie es das Gutachten von Prof. Dr. Ansgar Ohly nahelegt, und wie es seit rund zwei Jahren von den Piraten gefordert wird.
Meiner Ansicht nach kann den neuen Umständen besser unter Anwendung und ggf. Erweiterung der urhebervertragsrechtlichen Regelungen des Gesetzes Rechnung getragen werden; ohne die Vorrangstellung der Urheber vor den Nutzern in Frage zu stellen und das System fundamental zu ändern. Die Urheber sind nach wie vor die wichtigsten Personen bei der Schaffung von Content für die Informationsgesellschaft und verdienen Schutz wie es die Ausführungen von Frau Bundeskanzlerin Merkel bei der Jubiläumsveranstaltung des Deutschen Privatfernsehens am 9. September 2014 verdeutlicht haben: „Es muss möglich sein, aus kreativer Arbeit Einkünfte zu erzielen (...). Niemand soll Autoren um die Früchte ihrer Arbeit bringen. Jeder weiß, wie viel Arbeit dahinter steckt.“
Unter diesen Voraussetzungen ist bedauerlich, dass der Hauptgutachter und die anderen Gutachter auf zwei wichtige Bereiche nur beiläufig eingehen, die für die
Nutzung von Rechten im Informationszeitalter große Bedeutung haben:

  • das Urhebervertragsrecht,
  • das Recht der kollektiven Wahrnehmung.

Unter Berücksichtigung dieser wichtigen – und in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich als entwicklungsbedürftig erwähnten – Gebiete des Urheberrechts müssen wir uns aus der Sicht der Urheber mit folgenden Fragestellungen vordringlich befassen:

a. Werkbegriff

Ob unter der Berücksichtigung der europäischen und nationalen Rechtsprechung definitorische Änderungen des Werkbegriffs erforderlich sind – wie im Gutachten Ohly vorgeschlagen –, kann hier offen bleiben. Realität ist, dass der Werkbegriff zunehmend „aufgeweicht“ wird. Die falsche Lösung ist aus meiner Sicht allerdings die beispielhaft vorgeschlagene Abschaffung „minderer“ Rechte; nämlich mancher Leistungsschutzrechte. In Gutachten wird beispielsweise die Abschaffung des Leistungsschutzrechts für Lichtbilder (§ 72) gefordert. Sie wird rein pragmatisch mit der massenhaften Zunahme der Hobbyfotografie, der Entwicklung der Technik und der Zunahme von Abmahnverfahren in diesem Bereich begründet, ohne darauf hinzuweisen, dass mit diesem Schritt auch die Grundlage der Vergütung vieler professioneller Fotografen betroffen wäre. Außerdem würde das Abgrenzungsproblem – als Werk – zwischen geschützter und „schutzloser“ Fotografie aufleben, das im Rahmen der Umsetzung der Schutzfristenrichtlinie faktisch beseitigt wurde. Durch diesen Vorschlag werden also mehr Konflikte geschaffen als gelöst. Insbesondere, wenn man an die im Gutachten angesprochenen Laufbilder und andere Leistungen denkt, die wichtige materielle Refinanzierungsmöglichkeiten für zahlreiche kreative Menschen und Teile der Kulturindustrie schaffen.
Was die geschützten Werke und Leistungen betrifft, ist unstrittig, dass unter den gegebenen technischen Möglichkeiten auch die kreativen Nutzer („Prosumer“), die ihre Werke auf der Grundlage vorbestehender, im Netz kursierender Werke „schaffen“, dann als Urheber anzuerkennen sind, wenn ihre Werke unter Berücksichtigung des § 24 („Freie Benutzung“) geschaffen wurden. Sie haben dann auch Anspruch auf die Vergütungen, die für die Nutzung ihrer Werke anfallen, sofern sie dies wünschen; einer Erweiterung des § 11 bedarf es dafür nicht.

b. Erweiterung der kollektiven oder zentralisierten Rechtewahrnehmung

Viele technische Neuerungen der digitalen Gesellschaft – darauf weist das Gutachten Ohly hin – machen Werkermittlungen und den Rechtserwerb für den individuellen Nutzer im Einzelfall schwieriger; dies gilt insbesondere für den Bereich der Schrankenregelungen und der neuen Nutzungsarten – user generated content, framing, streaming etc. Das Gutachten Ohly weist an vielen Stellen auf mögliche kollektive Rechtewahrnehmung hin, die praktikabel und kostengünstig ist.
Wenn man jetzt und in Zukunft – ohne die Nutzer mit umfangreichen Rechteklärungen belasten zu wollen – die Beteiligung und angemessene Vergütung der Urheber und ausübenden Künstler, aber auch der Produzenten und Verleger für die Nutzung von geschützten Werken sichern will, muss man im Zusammenhang mit diesen neuen Nutzungen über Erweiterungen der kollektiven oder zentralisierten Rechtewahrnehmung speziell für Urheber und ausübende Künstler, und damit über Erleichterungen des Rechtserwerbs zugunsten der Nutzer nachdenken. Damit stellt sich auch die Frage nach dem Recht der Verwertungsgesellschaften und notwendige Anpassungen. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zur kollektiven Rechtewahrnehmung bietet die beste Gelegenheit, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, soweit das geltende Recht nicht ausreicht.
Die Urheber jedenfalls stehen Nutzungserweiterungen der genannten Art nicht im Weg, sofern die Verwaltung in einfacher Form ermöglicht wird und damit auch die Zahlung angemessener Vergütungen gesichert ist.
Die Diskussion auf EU-Ebene über einen Anspruch auf angemessene Vergütung der Filmurheber bei Weiterleitung ihrer Werke durch Intermediäre – verwaltet durch ihre Verwertungsgesellschaften – gibt Anlass zum Nachdenken über innovative Modelle der Lizenzierung, die zur Senkung der Transferkosten führen.

c. Urhebervertragsrecht

In diesen Zusammenhang gehört dann auch die urhebervertragliche Präzisierung der Beteiligungsverhältnisse in traditionellen Werkvermittlungsstrukturen zwischen Produzenten und Urhebern, da viele genutzte Werke auch weiterhin in der gemeinsamen Zusammenarbeit geschaffen und genutzt werden. Für die Verwaltung dieser Werke in neuen Nutzungsformen müssen von Anfang an klare Regelungen geschaffen werden, die die Aufteilung der Erlöse in fairer Weise ermöglichen. Das geltende Urhebervertragsrecht muss deshalb dringend überarbeitet werden, damit mehr Verträge über Vergütungsregeln zustande kommen und die Ansprüche auf angemessene Vergütung durchsetzungsstark ausgestaltet sind.
Ein besonderes Problem ergibt sich allerdings durch die jüngste Rechtsprechung der Münchener Gerichte, dass das traditionelle Rechtsverhältnis der Buchverleger zu den Urhebern und ihr Beteiligungsanspruch an Vergütungen für Nutzungen im Bereich der Schrankenregelungen der kollektiven Wahrnehmung rechtlich in Frage gestellt wird.
Ich schlage zur Lösung dieser Problematik – ganz unabhängig von der bevorstehenden Entscheidung des BGH – einen pragmatischen Ansatz vor, der allerdings nicht kurzfristig umzusetzen sein wird: Wenn es gelungen ist, für Presseverleger ein Leistungsschutzrecht zu definieren, muss das auch bei Buchverlegern möglich sein. Die im Gutachten erwähnte These, das sei nicht möglich, weil es sich beim Buch im Gegensatz zum Tonträger um ein dauerhaft festgelegtes Werkstück handele, ist für mich nicht überzeugend.
Das Thema Urhebervertragsrecht hat jedoch in der Informationsgesellschaft zusätzlich eine weitere Dimension bekommen. Den Urhebern stehen nicht nur die traditionellen Verwerter gegenüber, sondern auch die neuen Internetmächte bzw. Intermediäre: Amazon, Google, Youtube und andere. Diese sind weit davon entfernt, über Bedingungen überhaupt zu verhandeln bzw. sonstige Gepflogenheiten, die sich z.B. aus traditionellen Verlagsverträgen ergeben, zu übernehmen. Es gilt für diese, die ihre Dienste als Verleger oder „Produzenten“ in Anspruch nehmen, der Grundsatz „Friss oder stirb“, so dass sich in manchen Ländern die Urheber schon wieder hinter ihre Verleger oder Produzenten stellen; trotz berechtigter Kritik, um sich diesen neuen Monopolen und ihren Geschäftspraktiken nicht auszuliefern.
So entstehen aus der Not, trotz der eingangs erwähnten Konfliktlage, Bündnisse gegen die größeren „Raubfische“. Wir brauchen also langfristig auch ein internationales Urhebervertragsrecht, das die Vertragsverhältnisse von Urhebern und ausübenden Künstlern zu internationalen Verwerterkonzernen reguliert, damit die Verwertungskette auch in Zukunft so funktioniert, dass jeder seinen fairen Anteil bekommt.

d. Erweiterung der Schrankenregelungen

Schrankenregelungen im Interesse der Werknutzer haben sich bewährt. Sie verwirklichen die Sozialpflichtigkeit des Urheberrechts und tragen der Freiheit von Kunst und Wissenschaft Rechnung. Gegen ihren Ausbau bzw. ihre Differenzierung ist aus Sicht der Urheber und ausübenden Künstler prinzipiell nichts einzuwenden.
Soweit neue Schranken – oder neue Schrankenkonstruktionen – und eine stärkere Zugriffsmöglichkeit der Nutzer auf vorbestehende Werke wie z.B. bei User generated content erwogen wird, sind die Urheber bereit, im Rahmen des Gesetzes und der Informationsrichtlinie auf die Nutzer zuzugehen. Allerdings muss man differenzieren. User generated content, der im Sinne des § 24 zu neuen Werken führt, ist zu unterscheiden von Nutzungen, bei denen Werke unverändert übernommen werden. Hier müssen spezielle Vergütungsmodelle z.B. über Präzisierungen des § 24 und andere Vorschriften entwickelt werden. Allerdings müssen die Intermediäre und Nutzer mitspielen. Schwer verständlich ist z.B., warum Google bei hohen Milliardenerträgen aus Werbeerlösen nicht in der Lage ist, für die Verwendung von Vorschaubildern eine angemessene Vergütung zu zahlen, oder für die Programme, mit denen Museumsinhalte zugänglich gemacht werden. Neue Schranken müssen also ebenso wie die bestehenden durchsetzungsstark ausgestaltet werden. Fair-Use-Klauseln brauchen wir nicht, wenn wir so vorgehen.
Im Falle der Einführung von neuen Schranken im Wissenschaftsbereich oder wie politisch gewollt, einer generellen Wissenschaftsschranke, muss dies dann auch gegenüber den Sparzwängen der öffentlichen Hand gelten.

e. Einführung einer Vergütungspflicht für Intermediäre

Soweit Internetdienste / Intermediäre sich im Interesse ihrer Kunden – der individuellen Nutzer – erweiterte Schranken zur Legalisierung der nach geltendem Recht auftretenden Eingriffe in fremde Rechte bei Erstellung von user generated content und anderen technisch möglichen Optionen unter Nutzung fremder Werke wünschen und sich damit auch in diesem Bereich von der Störer- oder Helferhaftung befreien wollen, stellt sich nach der Infosoc-Richtlinie die Frage, wie die Urheber für die Nutzung ihrer Werke entschädigt werden sollen. Hier sind die Urheber aufgrund der Erfahrungen mit der privaten Vervielfältigung – der ersten wichtigen Schranke zur Ermöglichung erweiterten Zugriffs auf Werke für entsprechende Lösungsmöglichkeiten – offen.
Das Modell der Vergütung der privaten Vervielfältigung durch die Verursacher – die Geräte- und Trägermedienhersteller – bietet sich auch für die Abrechnung von Nutzungen an, die unter Zuhilfenahme von Internetdiensten vorgenommen werden an. Die Intermediäre könnten in ähnlicher Weise in Anspruch genommen werden, mit den Verwertungsgesellschaften über pauschale Abgaben verhandeln, diese aus ihren Werbeerlösen zahlen und damit den individuellen Nutzern den Rechtserwerb im Einzelfall ersparen.

f. EU-Rechtsordnung für Urheberrecht

Aus Urhebersicht ist weder eine EU-Verordnung noch eine Richtlinie zur Schaffung eines EU-weiten Urheberrechtstitels erforderlich oder wünschenswert. Hier hat die Fragebogenaktion der EU vom Frühjahr 2014 ein klares und negatives Ergebnis gebracht. Nach unseren Erfahrungen führen Harmonisierungen zur Kompromissbildung und damit zur Absenkung des Schutzniveaus.
Wir bevorzugen deshalb den mühsamen Weg der Regulierung auf EU-Ebene durch Richtliniensetzung bzw. -erweiterungen im Detail.

Prof. Dr. Gerhard Pfennig
Sprecher der Initiative Urheberrecht

Anmerkung: Der Autor wurde wenige Tage vor dem 70. Deutschen Juristentag gebeten, zur Einführung in die Diskussion über die Thesen der Gutachter und Referenten in der Sektion Urheberrecht ergänzend einen eigenen Beitrag zur Verdeutlichung der Position der Urheber zu erarbeiten. Der vorstehende Beitrag wurde – aus zeitlichen Gründen in verkürzter Fassung – auf dem Juristentag vorgetragen.

juristentag-2014-beitrag-pfennig.pdf (pdf, 77.12 KB)

Pressekontakt: info@urheber.info