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Diskurs

Mittwoch, 15.08.2018

EU-Urheberrecht: Sind die Technik-Giganten die Gewinner?

Die Reform des europäischen Urheberrechts – seine Anpassung an die Bedürfnisse der digitalen Informationsgesellschaft – beschäftigt die EU spätestens seit der Veröffentlichung einer Digitalen Strategie im Jahr 2015. Im September 2016 veröffentlichte die Kommission ihren Richtl...

Die Reform des europäischen Urheberrechts – seine Anpassung an die Bedürfnisse der digitalen Informationsgesellschaft – beschäftigt die EU spätestens seit der Veröffentlichung einer Digitalen Strategie im Jahr 2015. Im September 2016 veröffentlichte die Kommission ihren Richtlinienentwurf, über den Ministerrat und Parlament seither beraten.
Nachdem der Rat am 25.5.2018 seine Stellungnahme zum Entwurf abgegeben hatte, veröffentlichte der federführende Rechtsausschuss am 20.6.2018 seinen Beschluss. Neben weitgehend unstreitigen Regelungen zur Werknutzung im Bereich grenzüberschreitender Lehre und Forschung enthält er vier für Urheber, ausübenden Künstler und Verwerter wichtige Themenbereiche:

  • Presseleistungsschutzrecht, Artikel 11
  • Verlegerbeteiligung an Vergütungsansprüchen, Art 12
  • Plattformregulierung („value gap“), Art 13
  • Urhebervertragsrecht, Art 14 – 16

Das Europaparlament hat am 5.7.2018 über diese Vorlage abgestimmt; die Annahme wurde 381 gegen 278 Stimmen abgelehnt (siehe News vom 5. Juli 2018). Dem Votum am 5.7.2018 ging eine Medienschlacht voraus, in der vor allem die Netzgemeinde mit tatkräftiger Unterstützung der Abgeordneten Julia Reda (Piratin/Grüne) gegen das Gesetz kämpfte. Hierbei wurden irreführende, aber einprägsame Schlagworte verwendet, z.B. für Art 11 (Presseleistungsschutzrecht) der Begriff „link tax“ und für Art 13 (Plattformregulierung) der Begriff „censorship law“). Angesichts dieser Konstellation hatten im Vorfeld mit zahlreichen deutschen Verwerterorganisationen die Initiative Urheberrecht auf nationaler wie aber auch auf europäischer Ebene – dort im Bündnis mit ihren internationalen Partnerorganisationen auf EU-Ebene – den Beschluss des Rechtsausschusses in seiner letzten Fassung unterstützt. Grund dafür war, dass aufgrund der Neuwahlen im kommenden Jahr zu befürchten ist, dass bei einer Verzögerung der Entscheidung dieses ggf. sogar erst im Jahr 2020 erfolgen würde. Bei allen Differenzen – darin war sich nahezu die gesamte Kultur-, Kreativ- und Medienbranche einig – der Entwurf sollte in die nächste Phase, ins Trilog-Verfahren gehen.
Die Auswirkung des ablehnenden Beschlusses des Plenums wird am besten durch eine Schlagzeile der New York Times vom folgenden Tage charakterisiert: „Tech Giants Win a Battle Over Copyright Rules in Europe“.
Die wesentlichen Punkte der Debatte sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

Presseleistungsschutzrecht

Rechtssystematisch wäre es aus meiner Sicht sinnvoll gewesen, den Verlagen aller Art wie anderen Verwertern (Sendern, Tonträger- und Filmproduzenten) ein generelles Leistungsschutzrecht an den von ihnen realisierten Werkfixierungen einzuräumen. Die Presselobby wollte jedoch so weit nicht gehen. Ihr ging es darum, nach dem Muster des bisher nur rudimentär realisierten deutschen Rechts die Stellung der Presseverleger gegenüber den Plattformen zu stärken. Kommission, Rat und das Parlament haben sich deshalb auf die jetzt vorliegende kleine Lösung verständigt. Aus der Sicht der Journalisten ist positiv, dass wenigstens das Parlament in seiner Vorlage eine Beteiligung an den erwarteten, von den Plattformen zu zahlenden Vergütungen vorsieht. Rat und Kommission wollen das bisher nicht. Der Rat hat übrigens zu diesem Punkt beschlossen, dass jeder Staat selbst den Umfang der noch zulässigen „Schnipselnutzung“ festlegen soll. Besser kann man Uneinigkeit nicht ausdrücken. Die Gegner sehen in der Regelung eine Behinderung der Möglichkeit für Blogger und individuelle Akteure, kleine Ausschnitte aus Presseartikeln zu verwerten und werten das als Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. Dies ist aber ein anderes Bedenken als der in der Diskussion verwendete plakative Begriff einer „Link Tax“, einer Steuer auf Links, von der hier nicht die Rede sein kann.

Verlegerbeteiligung

Kommission, Rat und Rechtsauschuss wollen die durch Urteile nationaler Gerichte („Vogel-Prozess“ in Deutschland) und des EuGH bemängelte fehlende eindeutige Rechtsgrundlage für die Beteiligung von Verlegern an Erlösen der Verwertungsgesellschaften im Wesentlichen an Vergütungsansprüchen aus Reprografie und Bibliothekstantieme auf eine sichere Rechtsgrundlage stellen, die dem geltenden deutschen Recht entspricht. Das heißt, Verleger sollen in gemeinsamen Verwertungsgesellschaften mit Autoren beteiligt werden können und ihre Anteile auf der Grundlage gemeinsam beschlossener Verteilungspläne erhalten. Diese Position ist im Brüsseler Entscheidungsprozess Mehrheitsmeinung. Es zeichnet sich nicht ab, dass zu diesem Punkt weitere Auseinandersetzungen stattfinden.

Plattformregulierung

Es ist mittlerweile Konsens in Kommission, Rat und Parlament, dass Plattformen, die mehr leisten als reine Accessprovider, Verantwortung übernehmen sollen, wenn geschützte Werke auf ihren Diensten ohne Lizensierung geteilt und zugänglich gemacht werden. Die Freistellung von dieser Verantwortung, die sich aus der „E-Commerce-Richtlinie“ ergibt, soll zukünftig faktisch eingeschränkt werden. Erreicht werden soll weiterhin, auch das im Konsens von Kommission, Rat und Rechtsausschuss, dass die Plattformen vor der Zugänglichmachung von Werken Nutzungsverträge mit den Rechtsinhabern (mit Urhebern und ausübenden Künstlern, mit berechtigten Verwertern oder mit Verwertungsgesellschaften) abschließen und angemessene Vergütungen für die Werknutzung zahlen sollen. Dies auch für den Komplex des „User Uploaded Content“ gelten, bei dem Nutzer auf Plattformen wie Facebook fremde Werke hochladen, um sie mit ihren Freunden nicht kommerziell zu teilen. Umstritten ist, was geschehen soll, wenn solche Verträge nicht abgeschlossen werden.
Der Beschluss des Rechtsausschusses sieht in Art. 13 vor, dass Plattformen zukünftig Lizenzverträge über genutzte Werke schließen müssen. Außerdem sollen sie in Zusammenarbeit mit Rechtsinhabern angemessene und proportionale Maßnahmen entwickeln, um das Funktionieren von Lizenzverträgen zu gewährleisten. Hierzu sollen die Rechtsinhaber Informationen zur Identifizierung ihrer Werke liefern, die Plattformen wiederum sollen regelmäßig über die Kontrollmaßnahmen informieren. Schiedsstellen sollen für den Fall eingerichtet werden, dass die Zusammenarbeit nicht funktioniert, auch die Nutzer sollen einen Rechtsweg zur Beschwerde über behindernde Maßnahmen erhalten.
Kritiker dieser Regelung fürchten, dass die Plattformen unter Verwendung der Werkinformationen Filter („Upload-Filter“) einsetzen werden, die dazu führen, dass mehr Werke als notwendig, weil nicht erkennbar von Verträgen erfasst, abgewiesen werden, dass Nutzer also nicht mehr wie bisher jedes Werk hochladen können. Heraus wird der Zensurvorwurf konstruiert, mit dem die Gefahr eines von den Plattformbetreibern nach Belieben eingeschränkten, nicht mehr freien Netzes heraufbeschworen wird („Die Demokratie ist in Gefahr!“). .
Die vorgeschlagene Regelung ist nicht perfekt. Zu befürchten ist, dass mit dem vorgeschlagenen Verfahren zwar wichtige Repertoires erfasst werden können, die über Werkidentifizierungssysteme verfügen (Musik und Film). Der Zwang jedoch, den Plattformen das komplette Repertoire zu melden, um sie in den Stand zu setzen, unberechtigte Nutzungen zu verhindern (auszufiltern) kann auch den Nebeneffekt haben, dass Plattformen mit den von Rechtsinhabern gelieferten Informationen gigantische Datenmengen über geschützte Werke aufbauen und ggf. missbrauchen könnten. Vorgeschlagen wurde deshalb im Vorfeld, dass zumindest die Werknutzung im Zusammenhang mit „User Uploaded Content“ in Form einer Schranke nach dem Vorbild der Privatkopie gegen Vergütung geregelt wird. Das würde bedeuten, dass die Nutzer für nicht kommerzielle Verwendungen geschützte Werke hochladen dürfen, die Plattformen jedoch dafür angemessene Vergütungen an Verwertungsgesellschaften zahlen. Damit könnte ein großer Teil der Konflikte mit den Nutzern – und damit auch das angebliche „Zensurproblem“ – neutralisiert werden. Für weitere Werkverwertungen wären dann ebenfalls Nutzungsvereinbarungen abzuschließen, ggf. unter Einschaltung von Schiedsstellen bzw. Gerichten, die in der Richtlinie schon jetzt vorgesehen sind. Diese Denkansätze werden jedoch derzeit noch von Urhebern und Verwertern kontrovers eingeschätzt; in der politischen Diskussion in Brüssel sind sie nur am Rande erwähnt worden. Möglicherweise liegt jedoch in diesem Ansatz die größte Chance für einen Kompromiss zwischen Gegnern und Befürwortern des Vorschlags des Rechtsausschusses.

Urhebervertragsrecht

Die Regelungen zum Urhebervertragsrecht in den Artikeln 14 bis 16 entsprechen den fortschrittlichen nationalen Lösungen in Frankreich, Holland und Deutschland. Weitergehende Vorschläge der internationalen Organisationen der Regisseure, Drehbuchautoren und ausübenden Künstler, die einen direkten Vergütungsanspruch für die Werkverbreitung z.B. bei „Video on Demand“ forderten, um Buy-out-Lösungen“ in den Nutzungsverträgen zwischen Verwertern einerseits und Urhebern und Künstlern andererseits ein Ende zu setzen, wurden nicht aufgriffen, obwohl sie an die bestehende Vermietrichtlinie anknüpfen. Sie führten aber zu einer deutlicheren Definition des Grundsatzes, dass für jede Werknutzung eine angemessene Vergütung geschuldet wird. Diese Vorschriften können die Arbeitsbedingungen der Kreativen in vielen Mitgliedsstaaten und damit in der EU insgesamt deutlich verbessern. Dem Vernehmen nach sind sie im Parlament nicht umstritten.

Wie geht es nun weiter?

Das EU-Parlament wird sich erneut am 12.9.2018 mit der Vorlage befassen. Die Mehrheit im Rechtsausschuss unter ihrem Vorsitzendem Axel Voss (CDU) wird mit Unterstützung der Abgeordneten Trüpel (Grüne) versuchen, den Antrag des Rechtsausschusses durchzusetzen. Die Abgeordneten, die den Antrag abgelehnt haben, haben bisher keine mehrheitsfähige Alternativen vorgelegt, die das Ziel des Kommissionsentwurfs, die Stellung der kreativen „Kronjuwelen“ und der Verwerter gegenüber den Plattformen substantiell zu stärken, verfolgen. Sie müssen sich nun entscheiden: wollen sie weiterhin nur das gesamte Paket zu Fall bringen und den Plattformen im Sinne der Kommentierung der „New York Times“ mehrere Jahre Zeit verschaffen oder wollen sie konstruktive Alternativen erarbeiten?
Fasst das Parlament einen Beschluss, setzt das „Trilog“-Verfahren ein. Die Kommission, der Rat – die Mitgliedsstaaten – und das Parlament bemühen sich dann, unter dem Vorsitz Österreichs einen Kompromiss zu finden. Dieses Verfahren steht unter Zeitdruck, weil im Jahr 2019 Wahlen zum Europaparlament stattfinden. Spätester Zeitpunkt für die Einigung ist dem Vernehmen nach der Februar 2019.
Gibt es im Parlament keinen Beschluss und damit auch keinen Trilog, muss sich das neu zu wählende Parlament mit dem Vorgang befassen, denn im europäischen Parlament gilt der Grundsatz der Diskontinuität nicht. In jedem Fall wird eine erneute Beratung unter veränderten politischen Konstellationen zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung führen und damit nicht nur für die Urheber und ausübenden Künstler, sondern für alle Rechtsinhaber negative Auswirkungen haben.

Prof. Dr. Gerhard Pfennig,
Sprecher der Initiative Urheberrecht

Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion entnommen aus der Zeitschrift medienpolitik.net 8/2018 (15.08.2018)

Pressekontakt: info@urheber.info