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Diskurs

Mittwoch, 21.05.2014

Ini Urheberrecht nimmt Stellung zu den TTIP-Verhandlungen

Die Initiative Urheberrecht lehnt den Abschluss des TTIP-Abkommens nicht grundsätzlich ab, sieht im bisherigen Prozess aber große Defizite, die dringend behoben werden müssen: Stellungnahme der Initiative Urheberrecht zu den Verhandlungen von EU und USA zur Verein...

Die Initiative Urheberrecht lehnt den Abschluss des TTIP-Abkommens nicht grundsätzlich ab, sieht im bisherigen Prozess aber große Defizite, die dringend behoben werden müssen:

Stellungnahme der Initiative Urheberrecht zu den Verhandlungen von EU und USA zur Vereinbarung eines Abkommens über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP)

Die Initiative Urheberrecht vertritt die urheberrechtlichen Interessen der Mitglieder von 37 Organisationen, Verbänden und Gewerkschaften der Kulturschaffenden und verfolgt deshalb die Diskussion um TTIP mit größtem Interesse: Dieses Abkommen wird nach unserer Wahrnehmung große Bedeutung für den zukünftigen Stellenwert der Kultur und insbesondere für das Urheberrecht im Verhältnis EU / USA haben.
Die Initiative Urheberrecht lehnt den Abschluss eines derartigen Abkommens, das von vielen Sparten der Wirtschaft offensichtlich gewünscht wird, nicht grundsätzlich ab, wir sehen im bisherigen Prozess aber große Defizite, die dringend behoben werden müssen.

1. Transparenz herstellen

Die Initiative Urheberrecht fordert die Vertragsparteien auf, umgehend volle Transparenz herzustellen: über die Kompetenzen der Verhandlungsparteien, über den Verhandlungsgegenstand, über die Auswirkungen der Verhandlungen auf die Kultur in den EU-Mitgliedstaaten, auf die Situation der Kulturschaffenden und der Kulturwirtschaft insgesamt.
Wir weisen darauf hin, dass es sich bei allen Aussagen zu dem erwarteten Zugewinn an Arbeitsplätzen bzw. wirtschaftlichem Wachstum um reine Spekulationen handelt, die außerdem die möglichen Auswirkungen des Abkommens auf den Kulturbereich vollständig außer Betracht lassen.
Die Initiative Urheberrecht begrüßt das Bemühen des Bundesministers für Wirtschaft, nun mehr Transparenz zu schaffen, sieht aber nicht, dass die EU diesem Bemühen nachkommt.
Die Initiative Urheberrecht unterstützt daher die Bestrebungen im vorpolitischen und politischen Raum, die begonnenen Verhandlungen abzubrechen und nach gründlicher Klärung der Positionen einen „Neustart” zu versuchen.

2. Kein Abkommen ohne Mitwirkung der Parlamente und Regierungen

Die Initiative Urheberrecht vertritt wie der Bundesminister für Wirtschaft den Standpunkt, dass es sich bei TTIP um ein Abkommen handelt, dass vor Abschluss der Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten und ihrer Parlamente bedarf („gemischtes Abkommen”), wenn nicht sogar um ein „doppelt gemischtes Abkommen”, bei dem die Bundesregierung auch auf die Zustimmung der Bundesländer angewiesen ist.
Wir haben allerdings bisher nicht feststellen können, dass die gesamte Bundesregierung und die Bundeskanzlerin diese Auffassung teilt. Der verhandelnde EU Kommissar, Herr de Gucht, vertritt bislang ausdrücklich den Standpunkt, dass es keiner weiteren Zustimmung von nationalen Parlamenten oder Regierungen bedarf.
Bei einem Verhandlungsgegenstand von derart weitreichender Bedeutung ist diese Position, ob EU - rechtlich begründbar oder nicht - für uns nicht akzeptabel. Das Abkommen wird tief in die Lebensverhältnisse der Staaten eingreifen und bedarf zu seiner demokratischen Legitimation daher der Zustimmung der Parlamente und Regierungen.

3. Investitionsschutz

Den TTIP-Verhandlungen liegt die Vorstellung zugrunde, dass Investoren, die ihre Interessen verletzt sehen, die Möglichkeit bekommen, Schiedsgerichte anzurufen. Dass solche privaten Schiedsgerichte, die geheim tagen und nicht überprüfbare Sprüche fällen, an die Stelle staatlicher Gerichte in den USA, der EU und der Mitgliedsstaaten treten sollen, widerspricht unserem Rechtsstaatsdenken.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass die EU in diesem Punkt die Verhandlungen für einen kurzen Zeitraum unterbrochen hat, um eine Konsultation durchzuführen. Wir versprechen uns davon allerdings nicht viel, denn angesichts der bisherigen Tradition bei Freihandelsabkommen ist nicht zu erwarten, dass die EU-Kommission von ihrer Position, Schiedsgerichte seien erforderlich, abrücken wird.
Die Initiative Urheberrecht begrüßt auch in diesem Punkt die klar ablehnende Position des Wirtschaftsministers und hofft, dass die Bundesregierung sie teilt und durchsetzt.

4. Kultur

Im EU-Vertrag in der Fassung von Lissabon ist die freiheitliche und unantastbare Stellung der Kultur nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU garantiert. Die meisten EU-Staaten sind laut ihrer Verfassung zur Förderung der Kultur verpflichtet. Dies ist auch die Auffassung der Bundesregierung, die der Bundesminister für Wirtschaft am 5. Mai 2014 und die Staatsministerin für Kultur und Medien am 20. Mai 2014 bekräftigt haben.
In den uns bekannten Unterlagen zum TTIP wird das Thema Kultur jedoch nicht und die kulturelle Vielfalt nur am Rande adressiert - lediglich „audiovisuelle Dienstleistungen” sollen von den Verhandlungen ausgenommen werden; eine Begriffsbestimmung dazu existiert nicht. Das halten wir für ein schlechtes Zeichen, denn in vielen anderen Freihandelsabkommen sind in der Vergangenheit zumindest Teilbereiche der Kulturwirtschaft Verhandlungsgegenstand geworden.
Wir plädieren deshalb mit vielen anderen dafür, eine klarstellende und eindeutige „Bereichsausnahme” in die Präambel des Vertrags aufzunehmen, die die Unterschiedlichkeit des Stellenwerts der Kultur und ihrer Förderung auf beiden Seiten des Atlantiks eindeutig feststellt und als nicht harmonisierbar von den Vereinbarungen des TTIP ausnimmt. Nur so ist zu verhindern, dass im Kleingedruckten eines künftigen TTIP-Vertrages Regelungen festgehalten werden, die negative Auswirkungen auf die in der Verfassung garantierten Freiheitsgarantien und die nationalen Systeme der Kulturförderung haben.
Sollte dies vertragstechnisch nicht durchführbar sein, müssen die audiovisuellen Dienstleistungen und die Kultur in allen relevanten Kapiteln, auch im Kapitel „Telekommunikation“, so ausgenommen werden, dass negative Auswirkungen auf die Kultur- und Medienbranche – und insbesondere die Situation der Urheber/innen und ausübenden Künstler/innen – ausgeschlossen sind.

5. Urheberrecht

Für die Initiative Urheberrecht und die kreativen Menschen in Deutschland spielt das Urheberrecht als „Arbeitsrecht der kreativen Menschen” eine besondere Rolle. Auch in diesem Regelungsbereich, dies hat Kommissar de Gucht in seinen Ausführungen in Berlin am 5. Mai 2014 zum Abkommen auf Fragen hervorgehoben, bestehen fundamentale Unterschiede zwischen den USA und EU-Europa, insbesondere was die rechtliche Position des einzelnen Urhebers / der einzelnen Urheberin angeht.
Uns ist wichtig, dass die Bedeutung des Urheberrechts für die schöpferischen Menschen in den Vertragsstaaten in dem zu verhandelnden Vertrag hervorgehoben wird. Es ist dabei selbstverständlich, dass das Abkommen die in den internationalen Verträgen im Rahmen der WIPO und durch die Harmonisierungen in der EU erreichten Standards nicht in Frage stellen.
Wir müssen nämlich befürchten, dass die USA ein Interesse haben, ihr anderes, den Unternehmer in den Vordergrund stellendes System zum Bestandteil des Vertrags zu machen.
Die Befürchtung wird dadurch verstärkt, dass auch in wichtigen Arbeitsbereichen der EU-Kommission, insbesondere unter dem Stichwort „Digitale Agenda”, Bestrebungen verfolgt werden, den Schutz des einzelnen Urhebers zu Gunsten der Interessen der Netzwirtschaft zurückzudrängen - so soll erreicht werden, den Content, also die Werke und Leistungen der Urheber und ausübenden Künstler, leichter „handhabbar” zu machen. Erste Entwürfe des neuen Weißbuch der Generaldirektion Binnenmarkt, die bereits vor der Auswertung einer umfangreichen Umfrageaktion formuliert wurden, bestärken diese Vermutung.
Die Initiative Urheberrecht begrüßt deshalb die Aussagen der Staatsministerin für Kultur und Medien sowie des Bundesministers für Wirtschaft, die die hohe Bedeutung des Urheberrechts auch im Zusammenhang mit dem TTIP unterstrichen haben - ob diese Positionen im Verhandlungsprozess letztlich zum Tragen kommen, wird sich zeigen müssen.

6. Vertrauen wieder herstellen

Neben der Initiative Urheberrecht haben viele andere gesellschaftliche Gruppen ihre Anforderungen an den Vertrag und ihre Kritik am Verhandlungsprozess formuliert. Wenn es den Verhandlungspartnern nach dem missglückten Beginn der Verhandlungen nicht gelingt, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger und das Vertrauen der kreativen Menschen, für die wir sprechen, zurück zu gewinnen, wird dieses Abkommen nicht zu Stande kommen können: eine zunehmend stärker werdende Zahl von Bürgern wird einem Abschluss widersprechen und den Vertrag letztlich zu Fall bringen. Am besten wäre deshalb ein Neustart der Verhandlungen unter besseren Voraussetzungen.

Berlin, 21. Mai 2014 / 11. September 2014

Initiative Urheberrecht

Prof. Dr. Gerhard Pfennig
Sprecher der Initiative

tipp-stellungnahme-initiative-urheberrecht_en_1.pdf (pdf, 65.6 KB)

Pressekontakt: info@urheber.info